Die deutschen Meere im
Rahmen der internationalen ...
Otto Krümme
HARVARD UNIVERSITY
LIBRARY
OF THE
Museum of Comparative Zoölogy
/igitizcd by
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m. tm. zoDi
LIBRARY
I HMbity
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- 0
VERÖFFENTLICHUNGEN 7 «n"
DES
INSTITUTS FÜR MEERESKUNDE
UND DES
GEOGRAPHISCHEN INSTITUTS
AN DEK-UNIVER S1TÄT BERLIN
HERAUSGEGEBEN VON DEREN DIREKTOR FERDINAND FRHRv. RICHTHOFEN
Heft 6
August 1904
Die Deutschen Meere
im
Rahmen der internationalen Meeresforsehung
Öffentlicher Vortrag, gehalten im Institut für Meereskunde
am 5. und 6. März 1903
von 9
Dr. Otto Krümmel
l'rofc«ot «1er Geographie au der Cnivenität Kiel
Mit drei Tafeln in Steindruck und zwölf Abbildungen im Text
KÖNIGLICHE HOFBIXHHANDLUNG
ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
liEXMN SWu, KuOIMUS/l 6S— 71
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Alle Rechte aus dem Gesetze vom 19. Juni lyoi
sowie das Über^etzun^recht sind vorbehalten.
ws. coyp. zooi
UWUW
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Inhaltsfibersicht
■Si- i t e
Die internationale Krforschung der nordeurnpäischen Mfi-rc ... i
Die Nordsee >>
Morphologisches 6
liodenrelief 7
Bodenarten <■)
Das NordsecuasMT 10
Meeresströmungen u
Verteilung des Salzgehalts , . 14
Gezeiten 17
Die Ostsee 22
Morphologisches 22
Die Talrinnen 23
Die Beltsce 24
Die eigentliche Ostsee 34
Die Steingründe 2;
Das Ostseewasser 26
.Strömungen ... . ?.~
Das Tiefenwasser 29
Die homohaline Deckschicht 31
Die Dichtigkeitsfläche 52
Windtriften und Windstau ^
Niveauschwanklingen ...•■« 34
Die internationale Erforschung der nordeuropäischen
Meere.
^Ä?^S^cnn in den letzten Jahrzehnten das Interesse weitester Kreise
VY^-' auf occanische Forschungen gelenkt wurde, so handelte es
$JI^3> ^u'h gewöhnlich um die Tiefscc, die in ihrem dunklen Schofsc
eine unerschöpfliche Fülle von Rätseln birgt und darum den Forschungs-
trieb der Menschheit dauernd anlocken wird.
Wir haben vor wenigen Jahren ein nationales Unternehmen, die
deutsche Tiefsee-Expedition unter Leitung von Professor Karl Uhun,
erfolgreich wiederkehren sehen, und unsre deutsche Südpolarexpedition
an Bord des Gaufs hat, wie wir den dankenswerten ausführlichen
Berichten ihres Führers K. v. Drygalski entnehmen, gerade die occano-
graphischc Erforschung der weiten, noch unbekannten Meere jener
hohen südlichen Breiten um einen tüchtigen Schritt vorwärts gebracht.
Neben diesen grofsen nationalen Taten, die einem hohen,
durchaus idealen Ziel zustrebten, hat sich zur Zeit aber, und an-
scheinend in weiteren Kreisen weniger beachtet, ein grofsartig an-
gelegtes internationales Unternehmen ins Werk gesetzt, das nicht
die fernsten oder tiefsten Regionen der Wasserwelt zum Ziel hat,
sondern gerade unsere heimischen Meere, die Europa nach Norden
hin umspülen. Das Endziel ist hier nicht sowohl ein rein wissenschaft-
liches, als vielmehr auch ein praktisches, wirtschaftliches; denn es
betrifft die Zukunft der Hochseefischereien und die Sicherung ihrer
weiteren Ertragsfühigkeit. Aber dies Ziel kann nur erreicht werden
mit Hilfe der Wissenschaften der Oceanographie und Biologie, diese
sollen die Grundlagen schaffen, auf denen dann die zu erwartenden
Institut f. Meereskunde cto. lieft 6. ■
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2 Die internationale Erforschung der nordeuropäisclien Meere.
gesetzlichen oder polizeilichen Mafsregeln erwachsen und durch inter-
nationale Staatsvertrage gesichert werden können. Diese nunmehr ein-
geleitete internationale Erforschung der nordeuropäischen Meere wird
mit einer musterhaften Gründlichkeit, Vielseitigkeit und Schärfe der
Methoden betrieben und mit einem bis dahin unerhörten Aufwand von
Mitteln (es handelt sich um jährlich rund i Million Mark), so dafs sie
in jeder Hinsicht zu einem Wendepunkt der wissenschaftlichen Meeres-
forschung überhaupt geführt hat: augenblicklich steht unzweifelhaft die
Erforschung der nordeuropäischen Meere geradezu im Vordergrunde
der oceanographischen Interessen.
Zwei Ausgangspunkte sind zu nennen, von denen die Anregung
zu dieser grofsen internationalen Organisation gekommen ist: der eine
liegt in Schweden, der zweite im Deutschen Reich.
Bekanntlich hat die Ergiebigkeit des Heringsfangs an den nord-
europäischen Küsten mit grofsen unperiodischen Schwankungen zu
rechnen. Man weifs, dafs die Heringsfischcrci am Ostendc des Skage-
raks, in den Schären und Fjorden der bohuslänschen Küste, vor
hundert Jahren in höchster Blüte stand, dafs dann 1807 bis 1867 der
Fisch ganz wegblieb, seitdem sich wieder langsam einfand und dann
nach 1883 zehn Jahre lang oft in ungeheuren Massen gefangen wurde.
Aber schon 1895 liefsen die Erträge nach, und seit 1896/97 schlugen
diese Winterfischereien ganz oder fast ganz fehl. Gleichzeitig war der
sonst regelmäfsig in den südlicheren Fjorden Norwegens auftretende
Winterhering auch dort weggeblieben. Man mufste sich fragen, welches
die Ursachen für solche wirtschaftlich tief eingreifenden Änderungen
wären. Als nun schwedische Forscher unter der Führung von Otto
Pettcrsson und Gustav Ekman das östliche Skagerak in den vier
verschiedenen Jahreszeiten untersuchten, fanden sie, dafs anscheinend
der Hering an eine Wasserschicht mit bestimmtem Salzgehalt und
charakteristischen mikroskopischen Lebewesen gebunden scheine, dafs
man aber die Schwankungen in der Lagerung dieser Schichten nicht
genügend verfolgen konnte, wenn man nicht weitere Gebiete der Nord-
see und die Ausgänge der Ostsee ebenfalls gleichzeitig untersuchte.
So kam man zu den ersten, privatim vereinbarten Versuchen einer
Zusammenarbeit von schwedischer, dänischer und auch deutscher Seite;
denn ich konnte mich selbst in den Jahren 1893 und 1894 hieran be-
teiligen, indem ich auf dem Kaiserlichen Transportdampfer Pelikan ,
dem jetzigen Minenschulschiff, fünf Fahrten ungefähr zu gleicher Zeit,
wie die skandinavischen Kollegen, in der westlichen Ostsee ausführte.
Aber es war eine breitere Basis nötig, die sich in das Golfstromgebict
hinaus bis Island und ins russische Eismeer erstreckte. So versandte
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Die internationale Erforschung der nordeuropäUchcn Meere.
3
dann im Jahre 1898 auf Betreiben Otto Petterssons und der Akademie
der Wissenschaften in Stockholm die Königlich schwedische Regierung
an die anderen nordeuropäischen Uferstaaten eine Einladung zu gemein-
samer Beratung dieser Fragen in einer Konferenz von Fachmännern in
Stockholm.
Gleichzeitig hiermit war seit 1895 durch den Vorsitzenden des
Deutschen Seefischereivereins, Herrn Präsidenten Dr. Herwig in Han-
nover, auf die drohende Gefahr einer durch allzu rücksichtslosen Raub-
bau heraufbeschworenen Ausrottung der wichtigsten Speiscfischc in der
Nordsee hingewiesen worden. Bei näherer Untersuchung hatte sich
gezeigt, dafs weder die Entwicklung«- und Lebensweise dieser Fische,
noch die wirklich gefangenen Mengen bekannt waren, so dafs ein Urteil
über die Frage der sogenannten Überfischung sich nur von einer gründ-
lichen occanographischcn, biologischen und statistischen Untersuchung
erwarten liefs. Da aber diese Aufgabe für einen einzelnen Staat
unlösbar war (man denke namentlich an die Fangstatistik), so blieb eine
internationale Vereinbarung als einziger Weg übrig. Der Deutsche
Seefischcreivcrcin hatte gerade Vorverhandlungen in dieser Richtung
eingeleitet, als der schwedische Antrag eintraf.
So kam es denn zu der ersten internationalen Konferenz in
Stockholm, Ende Juni 1899. Es gelang, für die rein occanographischcn
Aufgaben ein ausgezeichnetes Programm zu finden; aber die zahlreichen
biologischen Fragen konnten damals nur unzureichend erledigt werden.
Eine zweite Konferenz in Christiania im Mai 1901 war auch in dieser
Beziehung erfolgreicher, und so konnte sich endlich im Juni 1902
der diese internationalen Arbeiten leitende Zcntralausschufs in Kopen-
hagen konstituieren. Im August 1902 begannen fast überall die Unter-
suchungen und fanden programmäfsig im November, Februar und Mai
ihre Fortsetzung. Von deutscher Seite war schon im Mai 1902 eine
Fahrt in die Nordsee ausgeführt worden, auf welcher der für diese
Zwecke aus Reichsmitteln neu erbaute Forschungsdampfer Poseidon
und der auf ihm eingeschiffte Gelehrtenstab seine Probe ablegen konnte.
Viermal im Jahr, im Februar, Mai, August und November, werden
fortan die gesamte Ostsee und Nordsee einschliefslich des Kanals, die
schottischen, isländischen und norwegischen Gewässer, die Murmansee
bis nach Nowaja Scmlja hin, gleichzeitig auf jedesmal denselben Linien
und denselben Stationen nach gleichem Programm untersucht. Es
sind dann jedesmal ein Dutzend Dampfer und mehr als 50 Gelehrte
auf dem weiten Gebiete tätig. In der Zwischenzeit finden die Fischerei-
Versuchsfahrten statt. Die Untersuchungslinien der deutschen Termin-
fahrten in der Nord- und Ostsee sind auf den beigegebenen Karten-
4
Die internationale Erforschung der nordeuropäischen Meere.
Figur t. Linie der deutschen Terminfahrten in der Nordsee. Die Stationen
sind mit römischen Ziffern bezeichnet
skizzen (Figur i und 2) eingetragen. Wie man sieht, haben wir in der
Nordsee 15, in der Ostsee 13 Stationen zu besuchen, was bei normaler
Witterung zweimal neun Tage umfafst. Ausgangs- und Kndpunkt ist
jedesmal Kiel. Die Ergebnisse der deutschen Terminfahrten werden
in unserem Laboratorium in Kiel ausgearbeitet und der Zentral-
stelle in Kopenhagen mitgeteilt. Dort werden alle einlaufenden Bc.
richte geordnet und veröffentlicht; das erste Bulletin für August 1902
ist im Februar 1903 ausgegeben. Der Vorsitzende des Zentralburcaus
in Kopenhagen ist der vorher erwähnte Präsident Dr. Herwig, der
auch zugleich der Vorsitzende der deutschen wissenschaftlichen Kom-
mission ist. Diese Zusammenarbeit ist zunächst auf die Dauer von fünf
Jahren vereinbart; einige der beteiligten Staaten haben sich aus budget-
□ by VjOOxIC
Die internationale Erforschung der nordeuropäischen Meere.
5
Fiprur 2. Linie der deutschen Terminfahrten in der Ostsee. Die Stationen
sind mit römischen Zittern bezeichnet.
rechtlichen Gründen zunächst nur auf drei Jahre gebunden. Es wird
jedoch allgemein gewünscht, dafs auch über den fünfjährigen Zeitraum
hinaus die g.inze Organisation Bestand behalten möge-.
Die Nordsee.
erfen wir nunmehr einen Blick auf den Schauplatz dieser
bedeutsamen internationalen Unternehmung.
Vom morphologischen Standpunkt aus haben wir es zu
tun mit sehr flachen Meeren, die nur eine seichte Überschwemmung
des Kontinentalsockels vorstellen: die Nordsee ein sogenanntes Rand-
meer, die Ostsee eines der kleineren, interkontinentalen Mittelmecre;
beides sogenannte Schelfmcere, zu deren Hauptmerkmalen gehört, dafs
in ihrem Hereich die vom Land kommenden Gewässer mit dem ocea-
nischen Salzwasser zusammentreffen und sich unter dem mafsgebenden
Kinflufs der Luft- und Meeresströmungen miteinander vermischen.
Morphologisches.
Die Nordsee ist vom Ocean her durch vier verschieden breite
Pforten zugänglich: die Strafse von Dover im Südwesten, die Pentland-
strafse und das breite Tor von Fair I. zwischen den Orkney- und
Shctlandinseln im Nordwesten, und endlich die breiteste und tiefste
Öffnung zwischen den Shetlandinseln und der norwegischen Küste bei
Statland im Norden.
Der Zugang vom Kanal her ist trotz seiner geringen Breite von
33 km doch sehr wichtig; durch ihn findet sogar tropisch atlantisches
Wasser den Weg in die Nordsee, wie die Flaschenposten des Fürsten
von Monaco und andere Triften, /.. B. von Sargassozweigen, erwiesen
haben. Am wichtigsten aber bleiben natürlich die breiten nördlichen
Zugänge, die sich zum europäischen Nordmeer öffnen. Hieraus geht
hervor, dafs die Nordsee als der engste Nachbar des europäischen
Nordmeers, d. h. also des arktischen Mittelmeers, zu betrachten ist.
Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher, wenn wir die Tiefen-
verhältnisse berücksichtigen: hierbei zeigt sich, dafs die Schclfplatte
der britischen Inseln nach Norden geneigt ist und im Osten durch ein
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Morphologisches. Bodenrelief.
7
breites Tal von 3(X> und mehr Meter Tiefe von Norwegen getrennt
wird; dieses Tal, die norwegische Rinne, führt unmittelbar in das 2(>x>
bis 3<xx> m tiefe Nordmeerbecken hinüber.
Bodenrelief.
Die übrige Nordsee ist durch die flache Doggerbank in zwei
Teile geschieden: der nördliche von 40 m Tiefe erst rasch, dann all-
mählich zu 80 und IOC) m Tiefe abfallend und schliefslich gegen die
über icxx) m tiefe Faröer Rinne in steilerer Böschung abgesetzt.
Als eine mäfsige Anschwellung liegt hier die Grofse Fischerbank
mit Tiefen zwischen 60 und 70 m in der Mitte der Fläche. Nach der
britischen Seite hin ist eine über 80 m tiefe, südlich bis fast auf die
Höhe von Newcastlc vordringende Mulde gelegen, die unsre Fischer
den Fladengrund, englische Cemeterxj oder den Friedhof nennen
vgl. Tafel I).
Die Doggerbank, so grofs wie Schleswig-Holstein, von gestreckt
ovalem Umrifs innerhalb der 40 m -Linie, ist in ihrem breitesten Süd-
westteile nur 15 m tief.
Südwärts ihr unmittelbar vorgelagert ist die sogenannte Silber-
kule {Silverpit der englischen Fischer), eine Furche von 60 bis 70 m
Tiefe, wohin sich, wenn im Herbst das Wasser auf der Bank abkühlt,
die Scholle und Seezunge zurückzieht und dann mit Grundnetzen in
Massen herausgeholt wird.
Überhaupt ist der Boden der südlichen Nordsee merkwürdig
durch sein wechsclvollcs Relief. Im ganzen sind die Tiefen nirgends
gröfscr als 45 m, auf sehr weiten Strecken sogar nicht über 35 m, so
dafs wirklich die meisten unserer Kirchen, hierher versetzt, mit ihren
Turmspitzen aus dem Wasser herausragen würden und, wie die Er-
fahrung gezeigt hat, Iiier gesunkene Seeschiffe mit den Stengen ihrer
Masten über den Wellen bleiben und damit den Schiffbrüchigen eine
letzte Zuflucht gewähren.
Stellenweise haben wir ausgedehnte ganz ebene Flächen, wie das
Gebiet der breiten Vierzehn , wo auf einem Areal von 3500 qkm
die Tiefen zwischen 23 und 24 m oder bei rund 14 Faden liegen.
Das Merkwürdigste aber sind die namentlich im Südwestteile
auftretenden, ganz schmalen, aber langgestreckten und staffclförmig
angeordneten Bänke, unter denen die Fünfbänkc zwischen Cromcr
und der Doggerbank und die zahlreichen Bänke der Hoofden sehr
genau aufgenommen sind. Die Seekarten zeigen sie uns alle fast nach
demselben Muster gebaut: im Norden sind sie nach NNW. dann nach
N, im Süden vor der Themsemündung nach NO gerichtet, ebenso an
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Die Nordsee.
der flandrischen Küste. Ihre Länge betraft 1 5 bis 20 km, ihre Breite
meist nur 2«xx> m, bei den landnähercn wird sie gröfser. Denkt man
sich die Nordsee trocken gelegt, so würden sie als lange Hügelkämme
von 20 bis 31)111 Höhe ziemlich steil aus dem umgebenden flachen
Boden hervorragen. Die südlichsten Bildungen der Art liegen im
Kanal von Dover: die Varnc- und Colbartbank; sie sind kürzer als die
andern, bestehen auch aus Sand, haben aber, wie die Vorarbeiten für
das bekannte Tunnelprojekt ergaben, einen Kern von anstehendem
Gestein der Portlandformation.
Die Entstehung dieser eigentümlichen Bänke ist nicht ganz leicht
verständlich. Englische Geologen haben geäulsert, dafs sie von den
Gezcitenströmcn aufgeschüttet wären. In der Tat ist die Richtung der
Gezeitenströme genau diejenige der Kämme. So finden wir auch ganz
analog in Flufsbetten die Sandbänke ebenfalls vorzugsweise in der
Längenrichtung des Stroms angeordnet. Aber die erwähnten Gesteins-
kerne geben doch der Vermutung Raum, dafs in den Bänken Reste
des alten Festlands enthalten sind, das einst die britischen Inseln mit
dem Norden Frankreichs und mit Flandern verband, und das wesent-
lich durch die abtragende Tätigkeit des Meeres, insbesondere durch
Sturmfluten, zerstört worden ist. In den erwähnten Bänken würden
wir dann die letzten Überreste der festeren Gesteinspartien erblicken,
zwischen denen die Gezeitenströme alles weichere und lockere Material
weggeführt haben: genau so, wie heutigentags die Düne bei Helgo-
land als der letzte kümmerliche Überrest einer breiten, noch vor
2uo Jahren vorhandenen Kalksteinbank, die bis zum Unterland hinüber
reichte, erhalten ist und ohne die schützende Tätigkeit des Wasser-
bautechnikers in den letzten Winterstürmen ganz unter Wasser ver-
schwunden wäre, als ein vollkommenes Analogon zu den Bänken der
Hoofden.
Der südliche flachere Teil der Nordsee ist jedenfalls der jüngste.
Nach den Untersuchungen von Jukcs Browne war nach der Eiszeit
und vielleicht schon während derselben der ganze jetzige Nordsee-
boden Festland: die Richtung der Doggerbank mit ihrem eigentüm-
lichen Steilabiall nach Süden und Südwesten hin scheint auch auf die
Ausgestaltung durch das von Norden und Nordosten hergekommene
Inlandeis hinzudeuten. Nach dem Rückzüge des Eises aber wurde
dieses Nordseeland von den diluvialen Tieren besiedelt, die wir auch
auf deutschem Boden mit den ersten Menschen zusammenfinden. Die
Hochseefischer holen nicht selten bei der I )oggerbank riesige Knochen
herauf, die der Zoologe als Skelcttcile vom Mammut, wollhaarigem
Rhinoceros. Bison. Urochs, Wildpferd, Hyäne, Höhlenliger etc. erkennt.
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Bodenrclief. — Bodenarten.
Jukcs Browne läfst diese jetzt auch bei uns ausgestorbenen Säugetiere
an <lcn Ufern des damaligen Rlicinstroms leben, der durch die er-
wähnte Silberkule nach X\V flofs und auch die Themse als Xcbcnflufs
empfing. An der Schwelle der geologischen Gegenwart ist dann erst
die Senkung eingetreten, die den Fluten von Norden her Zugang ge-
währte und die gegenwärtige Küste mit ihren Watten und Dünen
schuf. Die Kntstehung der erwähnten Reihenbänke und der Strafse
von Dover selbst haben wir uns also als verhältnismäfsig sehr jugend-
lich vorzustellen.
Um so auffallender steht dieser flachen, aber breit entfalteten
Nordsee die tiefe und schmale norwegische Rinne gegenüber, ihre
Entstehung dürfte doch wohl auf Dislokationen beruhen, die in viel
ältere Zeiten zurückragen, als sie für die Bodenformen der südlichen
Nordsee in Betracht kommen. Diese Rinne ist ziemlich sanft gegen
den Nordsccschclf, dagegen um so schroffer gegen das norwegische
Felsplateau abgegrenzt: hier finden sich sogar die ungewöhnlich steilen
Böschungen von 8° und io° nicht selten. Überdies ist der innerste
Teil der Rinne, das Skagerak, auch der tiefste. Die Karten zeigen
hier beträchtliche Flächen von mehr als 500 m und eine schmalere
Zone von mehr als 600 m, während eine ältere Messung, die hier so-
gar .809 m als gröfste Tiefe gibt, wohl mit Recht angezweifelt wird,
zumal zwei in allernächster Nähe ausgeführte neue schwedische
Lotungen nur 645 und 665 m ergeben haben. Nach Süden hin
werden wir die letzten bescheidenen Ausläufer der Rinne im Kattegat
wiederfinden. Der Wasseraustausch nach dem Nordmeer hin ist durch
eine Schwelle von etwa 280 m Tiefe, auf der Breite von Udsire, be-
schränkt; an dieser Stelle liegt der Boden der Rinne nur 150 m unter
dem der benachbarten Nordsee.
Soviel vom Bodenrclief. Die moderne Mccrcsuntcrsuchung wird
auf diesem Gebiet kaum besondere Entdeckungen in Aussicht stellen
dürfen, da schon die Anforderungen der Schiffahrt eine ziemlich ein-
gehende Auslotung des Nordseebodens zur Folge gehabt haben.
Immerhin haben die Lotungen auf den Fahrten unsres Rcichsdampfcrs
Poseidon bereits ergeben, dafs der Boden der Nordsee im einzelnen
viel unregclmäfsigcr gestaltet ist, als die Seekarten vermuten lassen.
Bodenarten.
Anders wäre es schon mit der Erforschung der Bodenarten,
die sich am Grunde der Nordsee abgelagert haben. Zwar wissen wir
namentlich durch die von Gümbel bearbeiteten Bodenproben der
deutschen Untersuchungsfahrten an Bord S. M.Kanonenboots Drache
1U
Die Nordsee.
1882 und 1884 schon viel von der Zusammensetzung der sehr ver-
breiteten Sand- und Schlickböden; aber diese Untersuchungen sind
doch nach modernen Prinzipien zu erganzen und zu wiederholen.
Eine neue Bodenkarte der Nordsee zu entwerfen ist daher von den
internationalen Konferenzen in Stockholm und Christiania ausdrücklich
gewünscht worden; zumal auch die Hochseefischerei ein grofses Inter-
esse daran hat. weil die Grundnetze nur auf weichen Böden gebraucht
werden können.
Das Nordseewasser.
Lagen hier ältere Verdienste von deutscher Seite vor, so ist das
noch in höherem Grade der Fall, wenn die Untersuchung des See-
wassers selbst, das unsere Nordsee bildet, in Krage kommt. Die im
Jahre 1870 begründete sogenannte Kieler Kommission zur wissen-
schaftlichen Untersuchung der deutschen Meere im Interesse der
Fischerei hat nicht nur durch ihre Küsten- und LeuchtschitTstationen
für die deutsche Bucht der Nordsee die ersten Grundlagen in dieser
Beziehung geliefert — wesentlich ein Verdienst von Gustav Karsten
und Heinrich Adolf Meyer- Forsteck - , sondern auch auf den im
Verein mit der Kaiserlichen Marine ausgeführten Fahrten an Bord der
Pommerania 187 1 und des Drache 1882 und 1884 die bis vor
kurzem einzigen Beobachtungen aus der landfernen Nordsee; doch
fanden die genannten Fahrten nur im Sommer statt. Nachher
haben die schon eingangs erwähnten schwedischen Forscher Petters-
son und Ekman im Skagcrak seit 1800 und gelegentlich auch in
der norwegischen Rinne Dr. Joh. Hjort und Fridtjof Nansen
wichtige Daten, auch aus dem Winter, beigebracht. Da die skandi-
navischen Delegierten auf der Konferenz in Stockholm und in
Christiania uns dringend darum ersucht hatten, ist die deutsche Linie
für die Terminfahrten über die Mitte und den Nordosten der Nordsee
erstreckt worden, so dafs sie von Helgoland nach Nordwesten bis zum
Friedhof an den Westrand der Grofsen Fischerbank, dann über diese
hinweg nach Ekersund, sodann von Lindcsnäs zur nördlichen Jütland-
bank und über die Kleine Fischerbank zur südlichen Jütlandbank und
nach Helgoland zurück führt. (Vgl. Figur 1.) Es liegen jetzt in der
Tat sehr wertvolle Beobachtungen von den ersten Fahrten vom Mai,
August und November 1902 und 1903 fertig bearbeitet vor; die Fahrten
in den Februarmonaten 1903 und 1904 sind wegen andauernd stürmischen
Wetters leider sehr lückenhaft ausgefallen; es konnten nur ein paar
von den vorgeschriebenen fünfzehn Stationen untersucht werden.
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Das Nordscewasser. — Meeresströmungen.
I I
Meeresströmung e n .
Ein Verständnis für die Wärme- und Salzgehaltsverteilung im
Hereiche der Nordsee ist aber nicht zu gewinnen, ohne dafs vorher
ein Blick auf die herrschenden Strömungen geworfen worden wäre.
Ks kommen hier nur die echten Meeresströme, nicht die Gezeiten-
ströme in Betracht, und wir wollen, von allen theoretischen Ab-
leitungen zunächst absehend, nur die beobachteten Vorgänge darstellen.
M Groß mit
Figur 3. Trift der Flaschenposten vom West-Hinder-Keucrschiff, in der
Zeit vom 1. April 1900 bis 30. Mai 1901, mit Darstellung der mittleren Windrichtung
für die Zeit vom I.April bis 16. August 1900 in West-Hinder und Helder, nach
Prof. G. Gilson, Mem, du Musee R. d'Hist. \at. de Delgique T. 1, 1901.
Die Seeleute wufsten lange, dafs an der deutschen Küste ein
schwacher Strom nach Osten und Nordosten setzt: dieser wurde durch
die 1874 von deutschen Leuchtschiffen ausgesetzten Flaschenposten
deutlich nachgewiesen. Von den 244 wieder eingelieferten Zetteln
waren yö°/ 0 nach Nordosten gegangen. Das dänische Feuerschiff
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\2
Die Nordsee.
Jf.OreD auf
Figur 4. ( >l)erfläclien.strömunyen in der Nordsee nach den Flaschenposten
des Dr. W. Fiilton (Scott. Geogr. M.m.izine 1897).
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Meeresströmungen.
«3
Horns Riff , wo tätlich der Strom gemessen wird, hat einen Strom von
4 Sm in 24 Stunden nach Norden im Jahresdurchschnitt. Das ist
/war wenig, nur 8,6 cm p. S., aber es würde genügen, ein Wasser-
teilchen von Borkumriff bis lianstholm in etwa 60 Tagen zu beiordern.
Weiter im Südwesten haben wir dann die sehr zahlreichen Flaschen-
posten vom Feuerschiff Wcst-Hinder ; seit dem Jahre iSoy: in den
ersten beiden Jahren sind 92°/ 0 der eingelieferten Zettel nach Nord-
osten getrieben, bis zur Westküste von Jütland hinauf. Die nähere
Analyse der in der Triftperiode herrschenden Windrichtungen hat er-
geben, dafs die Luftströmungen keineswegs der Triftrichtung besonders
günstig waren, so dafs an einem aus dem Kanal in die Nordsee ein-
tretenden Strom wohl nicht zu zweifeln ist (vgl. Figur 3). Besonders
überzeugend aber sind die Flaschenposten, die von der schottischen
Fischcreibchördc massenhaft in der westlichen Nordsee ausgesetzt
sind, und worüber Dr. Wemyss Fulton berichtet hat. Westlich von
den Orkney- und Shetland-Inseln, auf den Dampferlinien von Edinburgh
nach Christiania, Hamburg und Rotterdam wurden von Herbst 1894 bis
Ostern 1897 im ganzen 3353 Flaschenposten ausgesetzt; 572 davon
sind zurückgekommen. Aus der Zeitfolge, in der die Flaschen an-
getrieben sind oder in See treibend aufgefischt wurden, ergibt sich
deutlich ein an der Ostküste Grofsbritanniens nach Süden und dann
südlich von der Doggcrbank nach Osten abbiegender und schlicfslich
an der Küste der eimbrischen Halbinsel nach Norden setzender
Strom. Die mittleren Windrichtungen während der ganzen Triftzeit
gingen auf den Shetland-Inseln nach Nordost, auf dem Bellrock-Leucht-
turm recht nach Ost: es ist also auch hier die mittlere Windrichtung
im Endergebnis nicht wesentlich ausschlaggebend (vgl. Figur 4). In
kürzeren Perioden ist das freilich der Fall gewesen; starke und an-
dauernde Oststürmc haben einzelne Flaschcnscricn auch nach Südwesten
bis in den Kanal hineingehen lassen.
Im allgemeinen umkreist also hiernach ein Meeresstrom die
Nordsee entgegengesetzt dem Zeiger der Uhr, wie das übrigens für
alle Nebcnmcerc der höheren nördlichen Breiten Geltung hat.
So gelangt occanischcs Wasser durch das Tor bei Fair I. aus
dem Golfstromgebiet in die Nordsee hinein, wird zunächst an der Ost-
küstc Schottlands und Englands nach Süden geführt und mufs sich
schon hier mit Landwasser vermischen. Dann kommt aus dem bri-
tischen Kanal eine Zufuhr von abermals wesentlich atlantischem Wasser,
das aber an der niederländischen und deutschen Küstc eine sehr starke
Beimischung von Flufswasser erfährt. Das Ganze geht dann nach
Norden und immer rechts ans I^ind gelehnt in das Skagcrak hinein.
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>4
Die Nordsee.
In der Mitte der Nordsee wird das Wasser im allgemeinen in lang-
samer Bewegung nach Osten sein.
Verteilung des Salzgehalts.
Vergleicht man damit neuere Karten der Verteilung des Salz-
gehalts an der Oberfläche, so zeigt sich in der Regel der Verlauf der
S 0 5 10
5 0 5 10
MGrmO..
Figur 5. Salzgehalt und Temperatur an der Oberfläche der Nordsee
im August 1902, nach M. Knudsen (Bulletin des Resultats acquis pendant les courses
periodiques. annee 1902/1903.)
Isohaline von 35 Promille genau so, wie wir ihn erwarten müssen,
d. h. man sieht eine starke und breite oceanische Zuströmung von
Nordwesten her, eine schwächere Zunge aus dem Kanal, die Ostscite
umrahmt von Landwasscr (für den August [902 vgl, Figur 5 .
Verteilung de$ Salzgehalts.
'5
Vernickelter aber liegen die Dinge im Skagerak. Hier sind
auch in gleichen Jahreszeiten die gröfsten Verschiedenheiten zu finden.
Der im allgemeinen vorherrschende Typus aber wäre doch etwa so zu
kennzeichnen:
Aus der Ostsee Riefst ständig schwach salziges Wasser ab, das
an der schwedischen Seite des Skagcraks stets weniger als 32 Promille
Salzgehalt besitzt. Es nimmt im Sommer als ziemlich mächtige und
breite Schicht seinen Weg an der Südküste Norwegens entlang nach
Westen und Nordwesten, vereinigt sich dabei mit dem aus den regen-
reichen Fjorden heraustretenden Landwasser und bleibt darum auch
an der ganzen norwegischen Westküste trotz der Nähe des Golf-
stroms immer unter 34, oft unter 33 Promille. Im Winter ist das
Volumen des schwach salzigen Wassers am kleinsten, und dann herrscht
im Skagerak eine Mischwasserschicht von 32 bis 34 Promille, das so-
genannte Bankwasser der skandinavischen Gelehrten, das schwerer
ist als das baltische, aber doch leichter als das Nordseewasser von 34
bis 35 Promille. Durch starke Weststürme kann der sogenannte bal-
tische Strom ganz in den Ostwinkel des Skagcraks zurückgeschoben
werden. Dabei wird dann auch das Bankwasser zurückgedrängt und
lagert sich auf der Küstenbank vor der bohuslänschen Küste bis in
die dortigen Fjordbuchten hinein. Der Herbsthering hält sich an-
scheinend in diesem Bankwasser auf, das dann im Winter milde tem-
periert ist (etwa 5 0 ), während der baltische Strom kaltes Wasser (unter
2° bis —i,5°) führt. Bei Ostwinden dagegen breitet sich der baltische
Strom weit nach Westen hin aus, das Bankwasser geht wieder mit.
flacht sich ab, und mit ihm verteilt sich der Hering, während in der
Tiefe das oceanischc Wasser nach Osten geht. - Ob diese Wasscr-
bewegungen allein »las unregclmäfsige Erscheinen und Wegbleiben des
Winterherings an den bohuslänschen Küsten erklären, mufs dahin-
gestellt bleiben.
Unsre neuen deutschen Fahrten in der nördlichen Nordsee haben
weitere, sehr auffällige Beweise geliefert für die grofsen Verschieden-
heiten in der Anordnung der Wasserschichten, namentlich des bal-
tischen und Bankwassers an derselben Stelle (vgl. Figur 6). Im Mai
1902 reichte dieses leichtere Wasser als dünne oberflächliche Decke
von 1 5 bis 20 m von der norwegischen Küste bis mitten auf die
Grofse Fischerbank in einer Breite von 220 km. Der Mai ist in der
Tat die Zeit, wo die maximale Entwicklung des baltischen Stroms ein-
setzt. Ahnlich war es im August; im November dagegen fand sich
das baltische Wasser hart an die Küste zurückgedrängt, die Mächtig-
keit des Bankwassers darunter war 40 m. Noch auffälliger ist das
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Die Nordsee.
Verhalten der tieferen Schichten: im Mai ist das Nordseewasser
wesentlich in der tieferen Rinne zu finden, wo es nahe am Lande bis
zum Boden in 350 m herrscht. Die niedrige Temperatur von 4,7° bis
4. 8° zeigt, dafs es sich um Winterwasser, wahrscheinlich der Grofscn
Fischerbank, handelt, das vom Rand der Nordseebank hier in die Tiefe
hinuntergedrängt ist; das zeigt auch der Luftgchalt des Wassers, der
Fijjur 6. Salzgehalt und Temperatur in der nördlichen Nordsee,
im Querschnitt durch die Grofse Fischerbank und die norwegische Rinne für Mai
und November 1902. — Die ausgezogenen Linien sind Isohalinen und geben den
Salzgehalt in Promille; die Lage der Stationen ist aus der Karte für die Terminfahrten
in der Nordsee (Figur 11 ersichtlich: längs der Lotlinien sind die beobachteten Tem-
peraturen eingetragen.
seiner örtlich konservierten Temperatur entspricht. Das oceanische
Wasser (über 35 Promille) herrscht auf der Grofsen Fischerbank von
20 in bis zum Grunde und ist auch an der Südflanke der Rinne in die
Tiefe hinabgestiegen. - Im Herbst 1902 aber liegt das Nordseewasser
fast normal über der Grofscn Fischerbank, von der Oberfläche bis
60 m allein herrschend, nur dicht am linden findet sich oceanisches
Wasser. Dieses erfüllt auch die tiefe Rinne unterhalb von 150 m.
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Verteilung des Salzgehalts. — Gezeiten.
17
Die Temperaturen sind dabei überall um i° bis 2° höher als im Mai,
während sie an der Oberfläche ungefähr gleich sind. Dafs beide Pro-
file demselben Meer angehören, kann man aus der Anordnung der
Isothermen und Isohalinen nicht entnehmen; so verschieden ist das
Bild. Jedenfalls aber ist daraus zu schliefscn, dafs hiermit auch grofse
Einwirkungen auf die Verbreitung der Organismen Hand in Hand
gehen müssen, indem zunächst das Plankton in seiner Funktion als
Fischnahrung und damit die Verbreitung der Speisefische selbst be-
einflufst wird.
Gezeiten.
Zeigen sich hier wirtschaftlich bedeutungsvolle Vorgänge, die
man durch regelmäfsig wiederholte Untersuchungen während der
Termin- und Fischereifahrten hoffen darf, in einigen Jahren verstehen
zu lernen, so bleiben doch genug andere Probleme übrig, die wir
noch nicht enträtseln können. Das gilt namentlich von den Ge-
zeiten. Verständlicher geworden ist wohl die Höhe des Flutwechsels;
wir wissen, dafs die Flutwelle beim Hinübertreten aus tiefem in flaches
Wasser an Höhe zunimmt, und zwar im umgekehrten Verhältnis zur
vierten Wurzel aus der Wassertiefe, und dafs eine seitliche Einengung
sie noch wirksamer erhöht, indem dabei die Flutgröfsc umgekehrt zur
Quadratwurzel aus der Bahnbreite wächst. So sind die Fluthöhen bei
Dover 2- bis 3 mal so grofs wie bei Cromer oder Texel. Aber schwer
zu verstehen bleiben immer die Hafenzeiten, d. h. der Eintritt des
Hochwassers zur Zeit des Neu- oder Vollmonds, welche zu kennen
für die praktische Schiffahrt von gröfster Bedeutung ist. Zwar haben
wir Tabellen, in denen diese Hafenzeiten für sehr viele Küstenorte
genau angegeben sind, aber nebeneinander gelegene Häfen haben oft
sehr verschiedene Hafenzeiten. Als einziger Versuch, diese Hafen-
zeiten auf einer Karte einzutragen und durch Linien gleichzeitigen
Fluteintritts ein System in diese Zahlen hineinzubringen, liegt die von
dem englischen Physiker Whcwell vor 80 Jahren veröffentlichte Karte
vor; noch heute wird sie im wesentlichen unverändert in vielen
Gezcitcntafeln abgedruckt (vgl. Figur 7). Whewell gab nicht nur cotidal
lines, sondern versuchte auch, sie aus dem Verhalten der aus dem
Atlantischen Ocean in die Nordsee eintretenden Wellen gewissermafsen
genetisch darzustellen. Zwei solcher Flutwellen erscheinen bei ihm
als mafsgebend: eine Welle aus dem britischen Kanal, die von Calais
aus an der flandrisch-holländischen Küste entlang bis zum Helder hin
die Hafenzeiten beherrschen soll, und aufserdem eine von Norden
kommende, die ich die Shetlandwelle nennen will. Er trägt sie auf
Institut f. Meereskunde etc. Heft 8. 2
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IS
Die Nordsee.
A« Capitän Keftt't ~B»obachtungtort
Dvt römischen lifTern an den 6t*eitanr-
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M Qroll aat-
Figur 7. Karte der Flutstundenlinien iCotidal Imes) in der Nordsee.
nach Whcwell (1836).
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Gezeiten.
19
seiner Karte quer über die nördliche Nordsee hinweg für jede Stunde
nach Greenwichzeit ein. Man sieht, wie er diese Shetlandwelle die
Hafenzeiten an der ganzen Ostküstc Grofsbritannicns bis zur Themse-
mündung bestimmen und in den Hoofden die andere, die Kanalwellc,
durchkreuzen lafst. Sie soll aber auch die Nordsee südlich von der
Doggerbank beherrschen, ferner mit einem Zweige sogar in das
Skagerak hinauflaufen.
Dafs diese ganze Darstellung voller Fehler ist, läfst sich leicht
beweisen. Wir wissen, dafs sich die Gezeitenwellen mit einer Ge-
schwindigkeit durch das Wasser bewegen, die der Quadratwurzel aus
der Wassertiefe proportional ist. Wir können also in einem gut durch-
loteten Meer, wie der Nordsee, den Weg einer Welle ziemlich genau
rechnerisch verfolgen, wenn wir nur einen geeigneten Ausgangspunkt
haben, für den die Hafenzeit gut bestimmt ist. Wir müssen dazu
eine möglichst frei gegen den Ocean gelegene Stelle wählen und
können insofern dem Beispiel Whcwclls noch folgen, als wir annehmen,
dafs die Shetlandwelle um 7 Uhr an einem Yollmondtagc bei den He-
briden liegt. Dann lafst sich der weitere Verlauf der Welle aus den
genügend bekannten Wassertiefen berechnen. Aber das Bild, welches
wir auf diesem Wege erhalten, wird ungleich komplizierter, als bei
Whewell. In der Faröer Kinne wird die Welle stark voreilen, auf der
flachen Nordseebank zurückbleiben, um die Shetland-Inseln wie um
einen im Wasser liegenden Stein von beiden Seiten herumschlagen.
In der norwegischen Rinne wird sie jede Stunde 120 Seemeilen, über der
Nordsccbank aber nur 60 oder 70 Seemeilen durchmessen. Die Wellen-
kammc werden dadurch umgebogen und schliefslich weiterlaufend sich
selbst durchkreuzen. Südlich von der Doggerbank mufs die Welle
auf der tiefen Silberkule rasch nach Osten voreilen, so dafs wir gleich
drei Systeme, mit der Kanalwellc zusammen sogar deren vier, haben.
Aber damit noch nicht genug. Ein Teil der atlantischen Welle, die
wir bei den Hebriden ins Auge gefafst haben, ist westlich von den
Faröer und durch das sehr tiefe Wasser des Nordmeeres an die nor-
wegische Küste gelangt, wo er I »/j Stunden früher eintrifft als die
Shetlandwelle. Diese Nordmeerwelle wird nun wieder für sich und
unabhängig von der Shetlandwelle ebenfalls ihren Weg nach Süden
nehmen und ähnliche Umformungen erleiden wie die Shetlandwelle,
dabei stetig mit dieser selbst Interferenzen bilden. Endlich aber ist
es wahrscheinlich, dafs alle Wellen, die durch die tiefe Rinne in das
Skagerak eindringen, wieder zurückgeworfen werden und mit den
ihnen entgegenkommenden ebenfalls Interferenzen bilden.
2»
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20
Die Nordsee.
Kurz, das Bild mufs so unabsehbar verwickelt werden, dafs eine
Synthese der hieraus schliefslich zu erwartenden Hafenzeiten stellen-
weise ganz unmöglich wird. In Figur 8 geben wir einen Versuch für
das hieraus entstehende Gewebe der verschiedenen Flutwellen, wobei
jedoch, um ein unentwirrbares Knäuel zu vermeiden, die Stundcnlinien
JCGroO.
Figur 8. Interferenzen der verschiedenen Gezeitenwellen in der Nordsee,
dargestellt durch Flutsrundenlinien in Greenwicher Zeit.
der Nordmeerwelle nur bis IO&, die aus der norwegischen Rinne
kommenden Teile der Shetlandwelle nur bis 4h und die reflektierten
Wellen gar nicht dargestellt sind.
Immerhin zeigt unsre angenäherte Konstruktion, dafs sich an ge-
wissen Stellen Wellen mit 6 Stunden Phasenunterschied durchdringen,
wobei also der Wellenberg der einen mit dem Wellental der anderen
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21
Welle zusammenfällt, so dafs der Wasserstand unverändert bleibt und
nur aus der Verdopplung der Gezeitenströme die Interferenz der
Wellen erkennbar wird. (Vgl. Figur 7 Kapt. Hewetts Beobachtungsort
bei A.) Man sieht hieraus, dafs die Beobachtung der Gezeiten und der
Gezeitenströme in der offenen Nordsee namentlich nördlich von der
Doggerbank eine sehr dringliche Aufgabe der Oceanographie geworden
ist, und so hat denn auch das Programm der internationalen Konferenz
in Stockholm in der Tat verlangt, dafs die Untersuchungsschiffe wo-
möglich eine ganze Gezeit hindurch ankern und den Strom genau
messen sollten, wie das von S. M. Kanonenboot »Drache« auf und bei
der Doggerbank einige Male geschehen ist. Wir sind dabei, an unserm
Forschungsdampfer »Poseidon« die erforderlichen Tiefankervorrichtungen
zu erproben, um auch einmal an Tagen geeigneten Wetters diese
wichtige Frage fördern zu können.
Die Ostsee.
Jar die Nordsee wenig gegliedert und breit gegen das von
oceanischem Wasser erfüllte Nordmeergebiet geöffnet, so
ist die Ostsee ungleich abgeschlossener und auch in sich
reicher gegliedert, im ganzen aber so entlegen von allen oceanischen
Einflüssen und so unselbständig wie kein anderes Nebenmeer der Welt.
Morphologisches.
Besitzt die Nordsee als einzige Gliederung das Skagerak, viel-
leicht auch noch die Hoofden, und sind wir im übrigen auf die Be-
zeichnungen der Fischgründe durch die Seefischer angewiesen, so wird
an der Ostsee seit alters eine grofse Zahl deutlicher Abgliederungen
unterschieden; vom Kattcgat an bis zum Finnischen und Bosnischen
Golf hin.
Ist das Areal der Nordsee mit 548 OOO qkm beträchtlich gröfser
als das der Ostsee mit nur 43 1 000 qkm, so gibt es doch im Ostsee-
gebiet viel gröfsere Entfernungen auf dem Wasserwege: von Skagcn
nach Haparanda sind es 1800 km, nach Petersburg 1550, dagegen in
der Nordsee von Dover nach Kap Statland nur 1250, von der Pent-
landstrafse zur bohuslänschen Küste nur 950 km. Die Ostsee mit
ihrer verhältnismässig schmalen bottnischen und finnischen Abzweigung
sieht einem Talgebilde viel ähnlicher als die breit hingelagerte Nordsee.
Die Talrinnen.
Der gleiche Grundzug kommt auch in den Tielenverhältnissen
zum Ausdruck. Talartig schmale, 30 bis 60 m gegen die Umgebung
eingesenkte Rinnen sind besonders im reich gegliederten westlichen
Teil der Ostsee häufig.
Im Kattegat sehen wir die »tiefe Rinne« sich aus der breiten
Mulde des Skageraks an der schwedischen Seite nach Süden bis auf
die Höhe von Anholt hinauf erstrecken, während an der Westseite
alles flach bleibt; doch ist auch da die Läsö-Rinne flufsartig ein-
geschnitten. Ein langes schmales Flufstal ist dann im Samsöbelt er-
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Morphologisches. — Die Talrinnen.
-'3
halten, und der Kleine Belt ist doch auch nichts andres. Wer mit
dem Trajekt von Fridericia herüberfahrt, sieht es diesem gewundenen,
von grünen Wiesen und Gehölzen anmutig umrahmten Gewässer nicht
an, dafs es eine Meeresstrafse sein soll. Flufstalrinnen sind denn auch
reichlich im Grofsen Belt vorhanden, die ganze Bodengestaltung des
flachen Gebiets nördlich von Laaland mit dem Staaltief, dem Guldborg-
sund, dem Storström und Grönsund führt zu dem Eindruck, als habe
man es mit einem nur oberflächlich überschwemmten Stück Festland
zu tun. Geht man ins einzelne, wie im Grofsen Belt bei Korsör, mit
den tiefen Rinnen von Halskov, Agersö- und Omösund, die alle über
40 m tief sind, so erstehen vor unserm Auge Flufsschlingcn, die aus-
sehen, als wenn der Kleine Belt um 50 m gesenkt wäre. (Vgl. Tafel 2.)
Diese Vorstellungen sind geologisch durchaus nicht unbegründet.
Die besten Kenner der Entwicklungsgeschichte der Ostsee, die schwe-
dischen Geologen Henrik Munthe und Gerard de Geer, haben nach-
gewiesen, dafs nach der Eiszeit, und zwar damals, als die südliche
Nordsee Festland war und die erwähnte jetzt ausgestorbene Säugetier-
fauna beherbergte, auch das Ostseegebiet anders aussah als heute.
Die dänischen Inseln lagen 50 bis 60 m höher, und die Ostsee selbst
war zu einem grofsen Süfswassersee geworden, von denselben Tieren
belebt, die heute unsere norddeutschen Binnenseen bewohnen. Die
Strandablagerungcn einer kleinen napfförmigen Schnecke haben der
damaligen Ostsee den Namen der Ancylussee eingebracht. Die aus-
fliefsenden Gewässer gingen damals im Bereich der jetzigen dänischen
Inseln in Flufstälcrn in das Skagcrak hinüber, ähnlich wie wir heutigen-
tags Flufsbetten von verwandter Gestalt als Verbindungen zwischen
den grofsen kanadischen Seen kennen. Zur Ancyluszeit lebte auch
liier der paläolithische Mensch. Bemerkt sei weiter, dafs zwischen der
Ancyluszeit und der Gegenwart noch eine wichtige andere Entwick-
lungsphase der Ostsee liegt, wo das trennende Land wieder beträcht-
lich tiefer eingesenkt war als heute, wo darum der Austausch ihrer
Gewässer mit denen des Skageraks und der Nordsee viel ergiebiger
erfolgte als in der Gegenwart. Diese Phase, die sogenannte Litorina-
zeit, mufstc auch am Meeresboden ihre Spuren hinterlassen, insofern
als die unbehindert eindringenden Gezeiten mit ihren kräftigen, alter-
nierenden Strömungen die alten Flufsbetten mit Sand und Schlick
stellenweise zubauten, so dafs uns vom Talsystem der Ancyluszeit nur
Bruchstücke erhalten geblieben sind. Bemerkenswert bleibt es immer-
hin, dafs wir die eigentümlichsten Gestalten des Meeresbodens hier
ebensowenig wie in der südlichen Nordsee verstehen können, ohne
die geologische Entwicklungsgeschichte heranzuziehen.
24
Die Ostsee
Die Bcltsee.
L'm so natürlicher wird es hiernach sein, wenn wir diesen west-
lichen Teil der Ostsee entsprechend seiner charakteristischen geo-
logischen Vergangenheit auch mit einem besonderen Namen belegen,
wofür sich der Name der Bcltsee empfiehlt. Entsprechend den
Wünschen der dänischen Fachgenossen ist dieser Begriff in den Ver-
öffentlichungen der internationalen Mecresforschung aber enger zu
fassen, als ich ihn 1895 aufstellte. Sund und Kattcgat werden nicht
hineinbezogen, dagegen gehören zur Beltsee die Strafsen des Samsö-
bclts, Grofscn- und Langclandbelts, des Kleinen- und Alsenbelts, die
Kieler Bucht, der Fehmarnbelt, die Mecklenburger Bucht und zuletzt
die Kadetrinne, das östlichste und schon recht breite Stück Ancylustal ;
die Darsser Schwelle begrenzt diese Bcltsee nach Osten. Auch für
die Wärme- und Salzgchaltsregulierung der ganzen Ostsee spielt die
Beltsee, wie wir sehen werden, eine entscheidende Rolle.
Die eigentliche Ostsee.
Finden wir die mittlere Tiefe des Kattegats nur zu 28 m, die der
Beltsee gar nur zu 16 m, so ist die übrige Ostsee im Mittel 71 m tief,
wir dürfen also in ihr tiefere Einsenkungen erwarten. Allgemein werden
nun die räumlichen Verhältnisse etwas grofszügiger, die Flächen breiter.
Gleich Östlich von Bornholm haben wir die erste gröfscre Mulde
von 60 bis über KX) m, im Osten durch die Mittclbank begrenzt, im
Südwesten durch die Rönnebank und den Adlergrund.
Flachcrc Schwellen zu beiden Seiten der Mittelbank leiten hin-
über zu dem von der Hoborgbank und der Insel Gotland geteilten
gröfsten Tiefenbecken der Ostsee; in der Danziger Bucht haben wir
bis [ 1 3 m, östlich von Gotland bis 249 m, während das kleinere Becken
westlich von Gotland die Landsorter Tiefe südlich von Stockholm
besitzt, eine ganz eng begrenzte, steile und kesseiförmige Einsenkung
von über 400 m Tiefe. Der Finnische Golf gehört noch ganz zur öst-
lichen Gotlandtiefe, der Rigacr Busen wird im südlichen Teil über 40
bis 47 m tief.
Verwickelter ist der Übergang zum Bottnischcn Golf, der sich
durch ziemlich seichte Schwellen gegen die eigentliche Ostsee ab-
grenzt. Westlich von den Älandinseln liegt in den Süderquarken
wieder so ein tiefer Kessel von 244 m, und eine nur wenig tiefere
Bildung, eine Wiederholung der Landsorter Tiefe nach ihren Umrissen,
tritt dann in 63" N-Br. auf. Diese Kessel erinnern an gewisse Boden-
formen in den schwedischen und russischen Seen, sind aber nicht
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Die Beltsee. — Die eigentliche Ostsee. — Die Steingründe.
25
leicht zu erklären. Die Bottnischc Wieck ist in den Nordquarken flach
und übersteigt nirgends 1 50 tn.
Wie der BottnLsche Golf und die Nordseite des Finnischen Golfs,
so ist der gröfste Teil der schwedischen Küsten der Ostsee mit einem
Bodenrelicf begabt, das man als überschwemmte Schärenlandschaft
bezeichnen könnte. Unzählige kleine Riffe und Bänke mit engen ge-
wundenen Rinnen dazwischen geben ungemein verwickelte Fahrwasser,
wo der Fremde ohne Lotsenhilfe verloren ist. Die Rundhöckerform
der Schärenklippen zeigt, dafs dieses Relief auf die Eiszeit zurückführt.
Die Steingründe.
Auch die südlichen Randgebiete des Ostseebeckens bis in die
Beltsee hinein besitzen ein nicht minder lästiges Hindernis für die
Schiffahrt in Gestalt der sogenannten Steingründc, die in der Nord-
see ganz fehlen, wenn auch Findlinge angeblich in den Grundnetzen
der Nordseefischer gelegentlich gefunden werden und auch sonst ein
steiniger Grund die Kurrenfischcrci stellenweise ganz ausschliefsen
kann. In der ganzen Ostsee sind diese Findlinge fast überall als
Bodenbestreuung nachgewiesen, so dafs in der Tat von der Möglichkeit
einer Grundnctzfischcrei in der ergiebigen Art, wie sie die Nordsee
erlaubt, hier nicht die Rede sein kann. Diese lockere Steinbcstrcuung
ist auch unsern Seeoffizieren sehr wohl bekannt, denn hinter solchen
Steinen bleiben die während der Fahrt ausgeworfenen Thomsonlote
leicht hängen und gehen verloren. In den erwähnten Steingründen
aber findet man ganze Steinpackungen, wo die Findlinge Kante an
Kante aufcinandcrliegen und bis in die Nähe der Meeresoberfläche
heraufragen. Die Steingründc sind nun zwar ein Eldorado für den
Botaniker, der dort die schönsten und zierlichsten Rotalgen sammeln
kann; auch haben sie einen Spezialzweig der Ostsecfischcrci zu zeit-
weilig grofsartiger Entwicklung gebracht, die sogenannte Steinfischcrci.
Von kleinen Jachten und Ewern werden die Steine aus der Tiefe ge-
fischt oder mit Greifmaschinen heraufgeholt und in den Seestädten zu
Bauten verwendet. Aber im ganzen sind die Steingründe mit Recht
gefürchtete Hindernisse der grofsen Schiffahrt. Am bekanntesten sind
in dieser Hinsicht der Adlergrund und die Oderbank, dann in der
Beltsee der für die Evolutionen unserer Kriegsmarine sehr unbequem
gelegene Stollergrund. Die übrigen hat Joh. Reinke bis in den Alsen-
bclt hinauf auf seiner Vegetationskarte der westlichen Ostsee im ein-
zelnen verzeichnet. Diese Steinpackungen sind zum Teil wohl nichts
andres als Reste von weggespülten Inseln. An jedem hohen ab-
brechenden Ufer der Ostsee kann man den Vorgang beobachten, wie
26
Die Ostsee.
aus den Geschiebemcrgeln der feine Sand und Lehm von der Brandung
weggeschwemmt wird, wahrend die Steine liegen bleiben. Andere
dieser Bänke haben auch wieder Verwandtschaft mit den Steinmoränen,
wie sie aus der Eiszeit auf den norddeutschen Diluvialrücken von
Behrendt, Geinitz, Wahn schaffe u. a. beschrieben worden sind.
Das Ostseewasser.
Wenden wir uns nun dem Wasser zu, das die Ostsee erfüllt, so
finden wir ebenfalls ausgesprochene Unterschiede gegenüber der Nord-
see. Zeigte diese noch reichlich oeeanisches Wasser, so ist die Ostsee
schon aus den Zeiten der Ancylusperiode vorzugsweise ein Sammel-
becken atmosphärischer Gewässer. Geben wir dem Iwindgebiet, das
seine Flüsse in die Ostsee sendet, ein Areal von I 663 000 qkm und
eine durchschnittliche Niederschlagshöhe von 60 cm und lassen wir
hiervon */„ in die See abfliefsen, so erhalten wir 333 ebkm Landwasser.
Die Ostsee selbst empfängt ebenfalls Regcnfall, und zwar kaum mehr
als 55 cm. Lassen wir auch hiervon l j s durch Verdunstung verloren
gehen, so liefert die Ostseefläche selbst 158 ebkm Regenwasser in
einem Jahr. Der gesamte atmosphärische Niederschlag im Ostsee-
gebiete beträgt danach rund 490 ebkm, d. i. l j M des ganzen Volumens
der Ostsee. Diese Zahl bedeutet, dafs, falls man das Tor zwischen
Skagen und Marstrand gegen das Skagerak verschliefsen könnte, sich
das Ostseebecken in zwei Menschenaltcrn mit Süfswasscr bis zur
jetzigen Höhe des Meeresspiegels füllen liefse.
Heute aber sind ihre Zugangstorc zwar beengt, aber die Ostsee
ist weit davon entfernt, auch physikalisch ein tnare clausuni zu sein.
Als Ganzes betrachtet, können wir sagen, steht das Wasser der Ostsee
dem der Nordsee wie eine Säule von bedeutend geringerem spezifischen
Gewicht zur Seite, und ein Ausgleich dieser Dichteunterschiede mufs
notwendig in der Weise erfolgen, dafs an der Oberfläche das leichtere
Wasser, also das baltische, hinausfliefst, während das salzreichcrc
Nordsccwasser als Unterstrom in der Tiefe seinen Einzug nimmt. Ein
Längsschnitt durch das Ostseegebiet von Skagen bis Haparanda hin
gestattet uns, diesen Vorgang abzulesen an der keilförmigen Gestalt
der Isohalinen. Wir finden an der Oberfläche im Bottnischcn Golf
2 bis 4 Promille, von den Finnischen Schären bis Bornholm 7 bis
8 Promille, dann rasch zunehmend bei Schulzgrund am Nordeingange
des Grofsen Bclts 20 und bei Skagen 30 Promille. Am Boden reicht
ein Salzgehalt von 20 Promille bis in die Kieler Bucht, 1 2 Promille bis
in die Gotlandtiefe, 8 Promille bis in die Älandtiefe.
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Das Oütscewasser. — Strömungen.
-'7
Strömungen.
Das hieraus erkennbare vertikale Stromsysteni erleidet nun aber
mannigfache Modifikationen.
Zunächst wird die Erdrotation diese wie alle andern Strom-
bewegungen auf der Erdoberfläche beeinflussen, indem sie die fliefsen-
den Wasser hier nach rechts drängt. Der baltische Strom wird daher im
Kattegat an der schwedischen Seite und über der tiefen Rinne liegen,
das eindringende Nordseewasser an der gegenüberliegenden jütlän-
dischen. In der Ostsee selbst wird ebenfalls die schwedische Seite das
abfliefsende leichtere Wasser zeigen, so dafs der Sund das hauptsäch-
lichste Ausflufstor wird, während wieder die Belte, insbesondere der
tiefe Grofse Belt, das Haupteingangstor des schweren Wassers bilden.
Zweitens sind die Wassertiefen und die ganze Gliederung der
Bcltscc einem ergiebigen Austausch der Gewässer nicht günstig. Die
geringe mittlere Tiefe des Kattegat von 28 m, der Dro^denschwelle im
Sund von nur 7 m, der Darsscrschwelle von 18 m, aber auch die sonst
grofse Ausdehnung der Flächen von weniger als 20 m Tiefe engen das
nutzbare Durchflufsprofil sehr ein, und schliefslich sind auch die ge-
räumigeren Tiefenbecken der eigentlichen Ostsee durch seichtere
Schwellen gegeneinander abgeschlossen.
Drittens kommt hierzu die wichtige Einwirkung der Winde, die
hier womöglich noch bedeutsamer werden als in der Nordsee. Starke
Westwinde treiben das Wasser der eigentlichen Ostsee vor sich her
und senken den Spiegel der Beltsee, so dafs von Skagcn her salzigeres
Wasser Zutritt finden kann. Ostwinde dagegen breiten das baltische
Wasser über die ganze Beltsee und das Kattegat aus, ähnlich wie wir
das schon aus dem Skagcrak kennen. So wird die Zuführung von
salzigerem Wasser auch in der Tiefe nicht kontinuierlich, sondern un-
regelmäfsig, stofsweisc erfolgen und das zugeführte Quantum in jedem
Fall verschieden grofs ausfallen. Ferner aber werden die Stürme,
namentlich im Winter, das Wasser in Kattegat und Beltsee so auf-
rühren und durchmischen, dafs vorübergehend die ganze Wassermasse
in diesen Zufuhrwegen gleiche Salzgehalte und Temperaturen erhält, bis
sich dann bei ruhigem Wetter wieder eine dem normalen Zustand ähn-
lichere Schichtung ausbildet. Daher die rasche Abnahme des Salzgehalts
vom Samsöbelt bis Rügen und die erstaunlich grofsen Schwankungen,
die bei Korsör bereits Salzgehalte von 30 und 10 Promille in demselben
Jahr haben auftreten lassen. Die Beltsee ist also die Mischpfanne, aul
welcher das Ostseewasser zurechtgemengt wird. Da im Sommer
stürmisches Wetter seltener ist, wird auch diese Durchmischung mäfsiger
28
Die Ostsee.
werden, dann aber abkühlend und versalzend auf die Oberfläche ein-
wirken. Im Winter wird die Oberfläche bei der Durchmischung
wärmer, immer aber das Tiefenwasser verdünnt. Der dänische Hydro-
graph Martin Knudsen hat in einer Reihe meisterhafter Untersuchungen
diese Vorgänge dargestellt; er konnte nachweisen, dafs von dem Salz-
gehalt des Skageraks nur 3 / 3 durch den Unterstrom in die Ostsee ge-
langen, ^j, aber wieder dem baltischen Strom zugemischt nach Norden
Salzgehalt Juli 1877 Salzgehalt August 1902
U S3 52 Sl 50 iM*r 8 7 B »
Figur 9. Profile für den Salzgehalt und die Temperatur in der Arkonatiefe
zwischen Trelleborg und Arkona. Die Zahlen über den senkrechten Linien sind die
Nummern der Stationen, auf den beiden Figuren vom Juli 1877 nach F. LEkraan
(1877), auf den beiden andern nach den deutschen Terminfahrten (s. Figur 2). —
Die Salzgehalte sind durch die ausgezogenen Isohalinen in Promille angegeben.
hinausgeht. Ebenso kehren von dem wenigen Salz, das der auslaufende
baltische Strom selbst enthält, 2 / 3 wieder zur Ostsee zurück, und von
dem atmosphärischen Regen- und Flufswasser gelangt 1 / 3 nach Mischung
in der Beltsee wieder in die Ostsee zurück.
Hat der Unterstrom die Beltsee passiert, so gelangt er in das
erste der Tiefenbecken der Ostsee, die zwischen Rügen und Schonen
gelegene Arkonatiefe. Sie ist 55 m tief und steht nördlich von
Bornholm mit der 105 m messenden geräumigen Bornholmer Mulde
Temperatur Juli 1877
Salzgehalt 31. Oktober 1902
Das Tiefenwasser.
Das Tiefenwasser.
29
in Zusammenhang. Der normale Unterstrom drängt, von der Darsser
Schwelle kommend, rechts an der Rügenschen Seite nach Osten, biegt
dann vor der Rönnebank nach Nordosten ab und scheint sich so zu
teilen, dafs der Hauptast in die Bornholmcr Mulde weiterzieht, ein
kleinerer Zweig aber an der schwedischen Küste nach Westen umbiegt
und mit dem baltischen Strom der Oberfläche zusammen nach Westen
geht, um bei der Möenbank wieder nach Süden in den Rügenschen
Strom zurückzulenken. Strommessungen Petterssons aus dem Jahre
1901 lassen auf eine derartige Zirkulation schliefsen. In ihren Wir-
Februar 1903.
Figur 10. Profil für den Salzgehalt in der Arkonatiefe Februar 1903 nach der
deutschen Terminfahrt. Die Stationen sind dieselben wie auf Figur 9 und Figur 2.
Die ausgezogenen Linien sind Isohai inen und geben die Salzgehalte in Promille.
Die beobachteten Salzgehalte sind in kleinen Ziffern an den Lotlinien entlang ver-
zeichnet.
kungen auf die Verteilung des Salzgehalts und der Temperatur ist sie
aus den Untersuchungen des älteren Ekman vom Sommer 1877, ebenso
wie aus unsern neuesten deutschen Terminfahrten erkennbar. (Vgl.
Figur 9 und IO.) Bemerkenswert ist jedoch, dafs auf der bei der Möen-
bank gelegenen deutschen Station 7 der Salzgehalt am 31. Oktober 1902
am Boden fast 16 Promille war, während sich nördlich von Arkona nur
13 Promille fanden. Dieser höhere Salzgehalt gehört nun wahrscheinlich
nicht dem wieder zurückkehrenden Rügenschen Strom an, sondern kam
aus dem Sund. Knudsen hat nachgewiesen, dafs der Sund gelegentlich,
und zwar in allen Jahreszeiten, bei der Drogdenschwclle einen Salz-
gehalt bis zu 17 und 18 Promille an der Oberfläche führen kann, so
dafs ein mehrtägiger Nordweststurm dieses aus dem Kattegat stammende
schwere Wasser über die Schwelle hinüberzuschieben und die Arkona-
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30
Die Ostsee.
tiefe damit zu versorgen vermag. Freilich sind die Gelegenheiten, wo
dies wirklich eintritt, verhältnismäfsig selten, vielmehr wird der normale
Weg über die Darsser Schwelle als etwa fünfmal häufiger und bei der
gröfsercn Breite und Tiefe dieser Schwelle noch als vielfach ergiebiger
in Betracht kommen. Um Beltseewasscr hat es sich auch gehandelt,
als im Februar 1903 der ganze Boden der Arkonaticfc unterhalb von
35 m mit dem bis dahin unerhörten Salzgehalt von über 20 Promille
(am Boden der Station 8 sogar 23,50 Promille) erfüllt war. Man durfte
mit einiger Spannung der weiteren Verbreitung dieses auch durch seine
niedrige Temperatur (2°) abnormen Bodenwassers nach Osten hin
entgegensehen. Die nächsten deutschen Terminfährten *) haben es
dann auch bis in die Danziger Bucht hinein nachgewiesen. Die Ver-
hältnisse, die hierbei im Auge zu behalten sind, sind folgende:
Aus dem Gebiet nördlich von Rügen empfängt zunächst die
Born holmer Mulde so erneuertes Tiefenwasser. Aus dem Salzgehalt
ist das nicht immer so deutlich nachweisbar, wie aus den Temperaturen.
Immerhin hatte auch der Salzgehalt am Boden in rund 100 m Tiefe in
der Zeit zwischen 1877 und 1902 von 16,9 bis 1 5,9 Promille geschwankt,
ganz anders aber die Temperatur zwischen 2,8 und 8,2°. Im Herbst
1902 war die Bodentemperatur noch 4,6°; im Februar 1903 mufste
nun das kalte Wasser der Arkonatiefe hier eingedrungen sein, denn
im Mai 1903 fand sich eine Bodentemperatur von nur 3,16°. Seitdem
hat sie sich allmählich wieder erwärmt und zeigte im Februar 1904
3,47°. Der Salzgehalt aber war im Mai 1903 ebenfalls auffallend hoch
geworden mit 17,8 Promille; jetzt ist er langsam wieder herunter-
gegangen (16,9 Promille im Februar 1904).
Damit dieses Bodenwasser von 16 Promille auch in die gröfseren
Tiefen der Danziger Bucht und noch weiter in die von Gotland ge-
langte, müfstc es sich mindestens bis zum Niveau der diese grofsen
Becken im Westen begrenzenden Schwellen, also etwa 65 m, auffüllen.
Das wird nur sehr selten möglich sein. Überdies sind diese Schwellen
ziemlich breit, und stürmischer Seegang mischt auch hier die oberen
und unteren Schichten merklich durcheinander. Bei der Terminfahrt
im August 1902 fand sich auf der Ausreise am 10. August auf der
Schwelle nördlich von der Stolpcr Bank am Boden in 60 m Tiefe ein
Salzgehalt von 14,7 Promille; als der Dampfer drei Tage später, nachdem
heftige Weststürme geweht hatten, an derselben Stelle die Messung
wiederholte, war der Salzgehalt nur 1 1 Promille. So kann in die
Danziger und von da in die Gotlandticfc wohl immer nur stark von
') Das Folgende enthält einige neue Zusätze vom Juni 1904.
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Das Titfenwasscr. — Die homohaline Deckschicht.
31
der Oberflache her angemischtes Wasser hinübergelangen. Soweit wir
nun über diesen Teil der Ostsee unterrichtet sind, d. h. seit 1877, hat
jedenfalls die Danziger Bucht ihr Tiefenwasscr erst im Februar 1903
wieder einmal in dieser Weise erneuert. Im November 1902 hatten
unsere Gelehrten auf dem Poseidon die Bodentemperatur daselbst
noch = 3,58° gemessen, im Mai 1903 aber waren es nur 3,44°. Seit-
dem ist sie mit jeder Terminfahrt schrittweise angestiegen und war im
Mai 1904 schon 4,3 \ Der Salzgehalt aber hat in der gleichen Zeit
von 13,1 auf 1 1,8 Promille, offenbar durch Diffusion, abgenommen.
Dafs es sich damals um eine Erneuerung des Wassers gehandelt hat,
wird unwiderlegbar erwiesen durch den Sauerstoffgehalt der dem Tiefen-
wasser beigemengten Luft; er betrug im November 1902 nur 6 Prozent,
dagegen im Mai 1903 volle 25 Prozent, ist seitdem wieder schrittweise
heruntergegangen und mafs im Februar 1904 nur 9 Prozent. Wie weit
diese Erneuerung des Tiefenwassers aber weiter nach Nordosten hin
gereicht hat, ist leider nicht festzustehen, da die Gotlandticfc seit 1902
nicht mehr untersucht worden ist; sie gehört zum russischen Forschungs-
gebiet in der Ostsee. Vor dieser Zeit aber ist das Wasser sich selbst
überlassen geblieben; das Verhalten des Salzgehalts wenigstens läfst
kaum eine andere Deutung zu. Es fanden nämlich in rund 240 m Tiefe:
der ältere Ekman 1877: 1 2,2 Promille, ich selbst 1894: 11,8, die
Schweden 1902: 1 1,6 Promille, so dafs wohl nur eine leichte Verdünnung
des alten Wassers auf Grund von Diffusion anzunehmen ist. Bis zur
Gotlandtiefe hin stammt das Bodenwasscr jedenfalls aus der Beltsee
her; in der Alandtiefe dagegen ruht Wasser von 7 bis 8 Promille,
dessen Ursprung an der Oberfläche der südlichen und mittleren Ostsee
gesucht werden mufs.
Die homohaline Deckschicht.
Diese oberen Schichten der Ostsee zwischen Bornholm und den
finnischen Schären zeigen eine merkwürdige Konstanz im Salzgehalt,
der jahraus, jahrein zwischen 7 und 8 Promille liegt; nur die Tempe-
raturen erleiden starke jahreszeitliche Schwankungen. In der Regel
reicht der genannte gleichmäfsigc Salzgehalt von 7 l /a Promille bis zu
einer Tiefe von 55 m: das ist die sogenannte homohaline Deckschicht.
Diese wird im Sommer von oben her erwärmt, meist über 15 0 bis in
etwa 20 m Tiefe. Darunter nimmt die Temperatur dann ab, zuerst
sehr rasch (und zwar bei ruhigem Wetter in einer so ausgeprägten
Sprungschicht , wie kaum in einem Alpenscc), dann langsamer, und
in 55 m Tiefe ist die Schicht niedrigster Temperatur erreicht, die
zwischen 1,6 und 3°, auch 4 0 liegt, was in den einzelnen Jahren ver-
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Die Ostsee.
schieden ist. Von 55 m, also vom unteren Rande der homohalinen
Deckschicht ab, nimmt die Temperatur wieder ein wenig zu und zeigt
in den Tiefenmulden bei Gotland zwischen 3 und 4 0 . Woher entsteht
diese kälteste Schicht?
Winterbeobachtungen zeigen, dafs dann die ganze Wassersäule
im Bereich der homohalinen Deckschicht dieselbe niedrige Temperatur
hat, die im einzelnen von der dem Dichtigkeitsmaximum des be-
treffenden Seewassers entsprechenden nicht weit entfernt ist. So war
am 19. Februar 1903 auf Station II der deutschen Terminfahrt nördlich
von der Stolpcrbank die Temperatur von der Oberfläche bis 55 m
überall genau 2,o° bei einem Salzgehalt von 7,3 Promille. Von 55 m
ab nahm mit gleichzeitig rasch ansteigendem Salzgehalt die Temperatur
zu bis 4,57° bei 13,6 Promille in 72 m Tiefe. Die homohaline Deck-
schicht war also damals auch eine homothermc Schicht. Das Weitere
ist nun leicht verständlich. Im Herbst wird die Oberflächenschicht
durch Abgabe ihrer Wärme an die sehr viel kältere Atmosphäre rasch
abgekühlt und damit schwerer, sie mufs in die Tiefe sinken, wärmere
Schichten steigen dafür auf und werden ihrerseits abgekühlt, bis dann
die ganze Deckschicht die Temperatur des Dichtigkeitsmaximums er-
reicht hat; bei fortgesetzter Abkühlung kann dann die Oberfläche auch
kälter sein, als die tieferen Schichten. Immer wird sich aber die Tempe-
ratur des Dichtigkeitsmaximums am unteren Rand der Deckschicht
finden und den Sommer hindurch bewahrt bleiben. Darum wirkt
die Ostsee in den Frühsommer hinein stark abkühlend auf ihre Um-
gebung, während sie umgekehrt im Herbst die in der Deckschicht auf-
gespeicherte Wärme ausstrahlt und namentlich den Inseln eine ver-
längerte Vegetationsperiode sichert. Das gilt schon von Rügen, noch
mehr von Bornholm, am meisten von Gotland, wo der lange milde
Herbst viele, sonst in diesen Breiten schlecht gedeihende Obstbäume,
wie die Walnufs, ihre Früchte reifen läfst und sogar Zuckerrübenbau
ermöglicht.
Die Dichtigkeitsfläche.
Wenn wir die Ostsee ein Sammelbecken meteorischer Nieder-
schläge mit sekundärer Zufuhr von oeeanischem Wasser nennen, so
wird diese ihre Natur auch im Niveaustand ihrer Oberfläche zum Aus*-
druck kommen müssen: diese mufs nach Osten und Nordosten hin an*
steigen. In der Tat zeigen auch die modernsten Nivellements An-
deutungen eines solchen Gefälles entlang der deutschen Küste.
Zwischen Travemünde und Fehmarn einerseits und Swinemünde ander-
seits ergab sich ein Niveauunterschied von 7,6 cm; das gleiche Gefälle,
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Die Dichtigkeitsflächc. —
Windtriften und Windstau.
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über die ganze Küste ausgedehnt, würde ergeben, dafs bei Mcmel der
Ostseespicgcl etwa 30 cm höher lüge als bei Kiel.
Seit Henrik Mohns klassischen Untersuchungen besitzen wir aber
auch Hilfsmittel, um aus einer genügend grofsen Zahl von Salzgehalts-
und Temperaturbestimmungen das Profil der Meeresoberfläche ab-
zuleiten, d. h. eine sogenannte Dichtigkeitsfläche zu konstruieren.
Dr. Engelhardt hat das in seinen »Untersuchungen über die Strö-
mungen der Ostsee (Kieler Diss. 1899) wesentlich auf Grund der
Kkmanschen Untersuchungen des Jahres 1877 ausgeführt; er fand nicht
nur an den Küsten allgemein ein höheres Niveau als in der Mitte, und
zwar bei Bornholm etwa 4, bei Gotland 2 cm, sondern der Finnische
und der Bottnische Golf haben einen erheblich höheren Stand als die
übrige Ostsee; von Haparanda zu den Älandinseln besteht ein Gefälle
von 4,5 cm, von der Newamündung bis Dago ein solches von 8 1 /« cm.
Hieraus sind dann die Strömungen leicht abzuleiten, die aus solchen
Dichtcunterschicdcn hervorgehen müssen: an der schwedischen Küste
nach Südwesten, an der prcufsisch-russischcn Küste nach Nordosten. Im
ganzen aber ergab sich, dafs das Ostseeniveau etwa 20 bis 25 cm höher
lag, als das des Skageraks, wodurch die Entstehung des so beständigen
baltischen Stroms ohne weiteres einleuchtet.
Windtriften und Windstau.
Im übrigen aber ist im Bereich der ganzen Ostsee der örtlich
dem Seefahrer fühlbare Strom von den herrschenden Winden abhängig;
das Überwiegen der westlichen Luftströmung läfst namentlich entlang
der pommerschen und preufsischen Küste lebhafte, nach Osten gehende
Strömungen entstehen, die beim Einscgeln in die Molenhäfen von
Stolpmündc oder Riigcnwalde oft so kräftig befunden werden, dafs sie
die Schiffe aus dem Ruder laufen lassen.
Noch auffälliger sind die durch die Winde hervorgerufenen
raschen und ergiebigen Niveauschwankungen. Ebbe und Flut fehlen
zwar der Ostsee durchaus nicht, aber sie sind durchweg mikroskopisch
klein. Bei ganz ruhigem Wetter sind sofort an allen Pegeln die halb-
tägigen Wellen erkennbar, allerdings in Amplitüden von z. B. nur I cm
bei Arkona. Wer an der Ostsee wohnt, kann davon nichts wahrnehmen,
wohl aber ist zu bemerken, wie in Kiel der Westwind das Wasser im
Hafen senkt, während man es gleichzeitig in Memel steigen sehen könnte.
Solche Schwankungen vollziehen sich im Kieler Hafen oft in unglaub-
lich kurzer Zeit: so war am Pegel der Kaiserlichen Werft der niedrigste
Stand des ganzen Jahres 1892 am 6. Januar mit 1,14 m unter Null, der
höchste nur vier Tage später, am 10. Januar, mit 1,17 m über Null.
Institut für Mwr<*kundc etc. Urft 6. 3
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Die Ostsee.
Sturmfluten können an der Ostsee bekanntlich ebenso verheerend
wirken wie an der Nordsee. Sie sind vielleicht um so unangenehmer,
als der Nordoststurm, der sie den mecklenburgischen und holsteinischen
Küsten bringt, im Winter gleichzeitig die eisige Luft Lappmarkens
oder Finnlands herbeiträgt. Büsche und Sträucher am Strande, über
welche der Gischt der brandenden See hinwegfliegt, bedecken sich
dann wie kandiert mit glashellen Eisschichten, und die aus ihren über-
schwemmten Häusern vertriebenen Leute kommen durch den Frost in
doppelte Not.
Niveauschwankungen.
Neben diesen von den Winden hervorgerufenen Niveauschwan-
kungen zeigt die Ostsee ein regelmäfsigcs periodisches Auf- und Ab-
schwellen ihrer Oberfläche in den Jahreszeiten. Entsprechend dem
allgemeinen Maximum des Regcnfalls, der in den umgebenden Ländern
im Hochsommer eintritt, finden wir auf allen Pcgelstationcn rings um
die ganze Ostsee mit leicht verständlicher Verzögerung einen all-
I
I. II. III. II. V. VI. III. VIII. II. I. II. III. I. II.
Figur Ii. Mittlere monatliche Wasserstände der Ostsee in Vi» der natürlichen
Höhe: die einfachen Linien geben den mittleren Wert der neun schwedischen Küsten-
stationen. die Doppeliinicn die Monatsmittel für Swincmiindc 1887 bis 1898.
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N ivcausch wankungen.
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gemeinen Hochstand in den Monaten August und September, während
wir im April und Mai, der nicderschlagärmstcn Zeit, das niedrigste
Niveau wahrnehmen. (Vgl. Figur u.) An diesem Minimum der Kurve
ist auch der Wind insofern beteiligt, als er im Frühling oft und kräftig
aus Osten weht, und so das Wasser aus der Bcltscc hinausdrängt.
Neben dem Sommermaximum aber kommen nach den übereinstimmen-
den Zusammenstellungen für die deutschen Küsten durch Prof. Wcst-
phal, für die schwedischen durch Prof. Kosen aber noch zwei sekun-
däre Maxima zum Vorschein, im Dezember und im Februar. Diese zu
erklären ist nicht leicht; wollte man sie einfach auf die im Winter
häufigen Weststürme im Bereiche des Skagcraks zurückführen, so bliebe
unverständlich, warum diese Wirkung im Januar aussetzt.
Die erwähnten Pegelbeobachtungen an den schwedischen und
deutschen Küsten haben aufserdem noch ergeben, dafs die ganze Ost-
see gleichzeitig starke Schwellungen und Senkungen ihres Spiegels in
ganz unregelmäfsiger Folge erleidet. Seit 1887 fielen Niedrigstände
auf 1888, 1 891 , 1897 und 1900; dazwischen liegen Hochstände, die
Li
1 1
1887 88 89 90 9i 92 93 94 95 96 97 98 99 1900
Figur 12. Mittlere jährliche Wasserstände der Ostsee für die einzelnen Jahre
1887 bis 1900 in 4 /io der natürlichen Höhe; die einfachen Linien gelten für acht
schwedische Küstenstationen 1887 bis 1900; die Doppellinien geben die Jahresmittel
bei Arkona für die Jahre 1882 bis 1897.
3*
36
Die Ostsee.
besonders 1898 und 1899 auffällig hoch gerieten. Von 1893 bis i8y"
hat Jahr für Jahr die ganze Ostsee ein immer niedrigeres Niveau er-
halten, zuletzt um 8,5 cm weniger als 1893. An der deutschen Küste
(bei Swinemünde) zeigt sich diese Bewegung nur 1894 unterbrochen.
Nach 1897 folgt ein allgemeines rasches Steigen: der mittlere Wasser-
stand des Jahres 1898 liegt an der schwedischen Seite um io,2 cm, in
Swinemünde um 7,8 cm höher als 1897. (Vgl. Figur [2.)
Was sind die Ursachen dieser stofsweise intermittierenden Füllun-
gen und Entleerungen des Ostseebcckcnsr Sie auf Schwankungen in
der Ergiebigkeit der Niederschläge zurückzuführen, erscheint insoweit
erfolgreich, als die Niedrigstände sehr wohl mit trocknen Jahren im
Umkreise der Ostsee zusammenfallen können. Aber gerade 1892 und
1893 waren regenarme Jahre und brachten doch einen hohen Niveau-
stand, während 1888 und 1891 ziemlich nasse Sommer hatten und
doch niedrigen Niveaustand. Um diese Schwankungen zu verstehen,
müfsten wir auch Pegelbcobachtungcn von den oceanischen Küsten
Nordwesteuropas besitzen; es ist sehr wohl denkbar, dafs sie mit
gleichzeitigen Pulsationcn des Golfstroms zusammenhängen — aber
das sind Perspektiven, die uns räumlich schon weit hinausführen über
unsre heimischen Meere und zeitlich in eine ferne Zukunft, wo bessere
Beobachtungen zur Verfügung stehen werden als jetzt.
Die hier vorgetragenen Bruchstücke aus der Oceanographic der
heimischen Meere haben bewiesen, dafs noch viele Probleme der
Lösung harren. Hoffen wir. dafs unsre Nachfolger wenigstens an-
erkennen werden, dafs wir durch die internationale Organisation der
gleichzeitig das ganze Gebiet umspannenden und nach gleichen Me-
thoden arbeitenden Beobachtungen uns redlich für unser Teil bemüht
haben.
Gedruckt in der Köni K liclien Hof buchdruckerei von E. & Minier & Sohn
Berlin SVV, Kochstrmfsc 68- 7 r.
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I
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Bodenrelief des Kalletals und der Belle.
Zu Veröffentl des Instituts für Meereskunde etc. Heft 6 Tifi'l 2.
G«*r t >* Amt | SMi<C IMr 8»rtT S V*Ug « »gl Kofbucfch » [ 8 H«tw* Will, »triiii KocWr «-T1
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